Was haben Grenzen mit Lebensfreude und Glück zu tun? Sehr viel, obwohl es zunächst nicht den Anschein hat. Jeder Mensch besitzt nämlich das Recht, seine persönliche Grenze festzulegen: „Bis hier hin und nicht weiter!“ Niemand darf diese unsichtbare Mauer überschreiten. So sollte es zumindest sein. Die Realität sieht meist anders aus. Wer von Anfang an Grenzüberschreitungen duldet, muss sich nicht wundern, wenn die lieben Mitmenschen immer dreister werden. Deshalb lautet die Devise: „Wehret den Anfängen.“
Was genau sind Grenzüberschreitungen?
Das Spektrum ist sehr breit gefächert, von verletzenden Worten über Bevormundung bis hin zur Körperverletzung. Im Prinzip geht es immer um Machtmissbrauch.
Bereits zu Napoleons Zeiten wurde der Hegemonie (Vorherrschaft) der Kampf angesagt, weil man erkannt hatte, dass ein Gleichgewicht der Kräfte (Balance of Power) den Frieden sichern und harte Konflikte vermeiden kann. Nur wenn alle Beteiligten über vergleichbare Machtmittel verfügen, ist eine zufriedenstellende Koexistenz möglich.
Ja richtig, wir können uns ruhig mit einem Staat vergleichen, in dem wir das Staatsoberhaupt sind, mit der Aufgabe, das uns anvertraute Territorium zu verteidigen. Dieses besteht allerdings nicht aus Ländereien, sondern aus unserem Körper, unserem Geist und unserer Seele. Wer will, darf sich ruhig mit visualisiertem Stacheldraht schützen. Es kann auch eine Mauer sein, die bei Bedarf ruckzuck in Gedanken hochgezogen wird, eine Art Befestigung wie im Mittelalter mit Türmen und Schießscharten. Die eigene Phantasie darf sich getrost austoben.
Selbst unser Ehepartner, unsere Kinder und unsere Eltern haben die Pflicht, unsere Grenze zu respektieren. In vielen Herkunftsfamilien gab es keine Grenzen. Es wurde manipuliert und bevormundet, was das Zeug hielt mit dem Resultat, dass Streitereien an der Tagesordnung waren. Das ging an die Nerven und lenkte von den wirklich wichtigen Dingen im Leben ab. Zudem kostete es auch extrem viel Kraft und Energie.
Wer seiner Umwelt Grenzen aufzeigt, findet auch den Mut, „Nein“ zu sagen, wenn es angebracht ist und zwar ganz und gar ohne Schuldgefühle,
Bei verbalen Angriffen hat sich diese Taktik bestens bewährt:
Auf keinen Fall zurückschreien, denn damit wird nur Öl ins Feuer gegossen. Besser ist: tief Luft holen, mit einer ruhigen aber deutlichen Stimme sagen: „Nein, in diesem Ton spricht niemand (mehr) mit mir.“ Und jetzt kommt das Wichtigste: umdrehen, weg gehen und auf keine weitere Diskussion einlassen. Am vorteilhaftesten ist es natürlich, wenn dabei auch noch eine Tür geschlossen wird, die tatsächlich eine räumliche Trennung herbeiführt. Wenn nicht möglich, dann eben die unsichtbare Mauer aufbauen, aber auf jeden Fall auf Distanz gehen und den Schreienden einfach stehen lassen.
Bei Machtmissbrauch sollte dem Gegenüber ebenfalls im normalen Ton mit kurzen treffenden Worten klar gemacht werden, dass jeder für sich selber entscheiden darf. Der sofortige Rückzug verdeutlicht ohne Worte, dass es ernst gemeint ist und auf weitere Diskussionen keinerlei Wert gelegt wird. Auf das Wort muss unbedingt die Tat folgen und die ist in diesem Fall die Entfernung vom Schlachtfeld. Körperliche Angriffe sind ein Fall für den Staatsanwalt.
Solch ein Reagieren, die Betonung liegt auf „Re-“, denn es findet ja stets vorher ein Agieren von anderer Seite statt, fällt zunächst sehr schwer und kostet viel Kraft. Viel lieber würde man, wie in der Vergangenheit, zurückschreien, sich verteidigen oder sich rechtfertigen. Indem die eigenen Lippen nach dem einen Satz fest verschlossen bleiben, nimmt man dem Gegenüber den Wind aus den Segeln. Eine Rechtfertigung ist zudem immer eine Art Schuldeingeständnis, die dem Gegenüber erneut „Nahrung“ gibt. Manchmal reicht eine Lektion, bei „besonders schweren Fällen“ bedarf es Zusatzübungen. Bitte Geduld haben, es wird.
Natürlich machen wir uns nur glaubwürdig, wenn wir ebenfalls keine Grenzen mehr überschreiten. Also bitte keine Termine mehr für den Partner vereinbaren, sondern erst vorher nachfragen, und dann erst zu- oder absagen. Apropos Partner, gerade im Zusammenleben mit ihm sind Grenzen extrem wichtig.
Es klingt zwar verwunderlich, aber es ist die Realität: Sind die Grenzen ordentlich abgesteckt, zeigen die Mitmenschen viel mehr Respekt in ihrem Verhalten uns gegenüber, egal ob in der Familie, im Job oder im Freundeskreis. Es liegt tatsächlich in unserer Zuständigkeit, welches Verhalten wir zulassen oder nicht.